Auch wenn junge Fintechs schon länger versuchen, mit ihren Trading-Apps und Technologie-Innovationen den Wertpapierhandel zu revolutionieren und damit den klassischen Online-Brokern Marktanteile abzujagen, wurden die sogenannten Neobroker der breiten Öffentlichkeit erst im Zuge des Hypes um die Aktien des US-Videospielehändlers GameStop so richtig bekannt.
Vor allem junge Menschen verabredeten sich Anfang 2021 auf Börsenforen, um gemeinschaftlich gegen die Meinung etablierter Marktteilnehmer zu spekulieren und dabei schnelle und teils sehr hohe Gewinne zu erzielen. Was mit GameStop begann und den Aktien massive Kurskapriolen bescherte, fand in Deutschland seine Fortsetzung mit Werten wie Evotec oder Varta. Beliebtestes Instrument der Kleinanleger war die amerikanische Trading-Plattform Robinhood, in Deutschland vor allem der Anbieter Trade Republic.
Die Neobroker versprechen Anlegern eine einfache Nutzung per Smartphone-App zu unschlagbar günstigen Konditionen, was vor allem jüngere Anleger anlockt, mit kleinen Beträgen ihre ersten Aktien zu kaufen. Allerdings gerieten die Anbieter auch schnell in die Kritik, da es sich sehr oft um sehr unerfahrene Anleger handelt, die die günstigen Konditionen nutzen, um teils sehr riskante Wetten einzugehen. Auch das Preismodell der Neobroker wurde zuletzt häufig kritisiert, da die vordergründig günstigen Gebühren über sogenannte Rückvergütungen finanziert werden, d.h. der Anleger bezahlt diese indirekt über die ihm angebotene Geld-Brief-Spanne.
Für wen lohnt sich also ein Depot bei einem Neobroker bzw. wer sollte lieber bei einem etablierten „klassischen“ Online-Broker bleiben? Das ist die zentrale Frage, die wir mit diesem Beitrag beantworten wollen. Sie erfahren alles Wichtige über Unterschiede – aber auch Gemeinsamkeiten – und was Anleger bei der Wahl des passenden Brokers beachten sollten.
Achtung Spoiler: Nicht für jeden Anleger sind die kostengünstigen Neobroker wirklich der richtige Anbieter.
Definition: Was ist ein Neobroker?
Ein Neobroker ist – anders als ein klassischer Online-Broker, wie ihn Anleger seit der Gründung von Consors durch Karl Matthäus im Jahr 1994 als hierzulande ersten seiner Art kennen – ein Anbieter, der internetaffinen Nutzern eine leicht zu bedienende Trading-App zur Verfügung stellt, mit der sie über das Smartphone Wertpapiere provisionsfrei oder zu sehr niedrigen Gebühren handeln können.
Viele Neobroker bieten ihren Kunden ausschließlich den Handel über eine Smartphone-App an („Mobile-Only“), verzichten also vollständig auf eine Desktop-Version. Die Handelsoberfläche der Trading-App ist leicht verständlich und intuitiv zu bedienen.
Im Gegensatz zum klassischen Online-Broker hat ein Neobroker in den allermeisten Fällen auch keine eigene Lizenz für das Depotgeschäft, sondern nutzt die Dienstleistungen einer Depotbank wie beispielsweise der Sutor Bank oder der Baader Bank. Der Neobroker stellt also als Technologieanbieter nur die Handelsoberfläche für den Zugang zu den angebotenen Produkten sowie die Orderausführung bereit, die Abwicklung erfolgt bei einem Drittanbieter.
Was unterscheidet einen Neobroker vom klassischen Broker?
Neobroker wie auch klassischer Online-Broker sind Online-Handelsplätze, an denen die Kunden Wertpapieraufträge aufgeben, die an einen Handelsplatz weitergeleitet und ausgeführt werden sollen. Neben der bereits beschriebenen Art des Zugangs per Trading-App unterscheiden sich Neobroker von klassischen Online-Brokern vor allem bei der Zielgruppe, den handelbaren Produkten und Märkten, den Kosten und der Kundenberatung teils erheblich.
Die Zielgruppe
Aufgrund der sehr günstigen Gebühren und der niedrigen Einstiegsbarriere durch leicht zu bedienende Trading-Apps sprechen Neobroker vor allem ein junges Zielpublikum an, für die das Smartphone ein integraler Bestandteil ihres Alltages ist oder Vieltrader, die mit eher kleinen Beträgen mehrmals täglich Aktien handeln. Aber auch bei Anlegern, die sich mit ETF-Sparplänen langfristig ein Vermögen aufbauen wollen, punkten die Neobroker mit ihrer Gebührenstruktur und einer großen Auswahl verfügbarer ETFs.
Klassische Online-Broker wie die comdirect, die Consorsbank, flatex oder LYNX https://www.lynxbroker.de) richten sich mit ihrem Angebot dagegen an erfahrene und aktive Anleger. Die Auswahl an Märkten und Produkten ist weitaus umfangreicher als bei einem Neobroker, beispielsweise beim Options- und Futures-Handel über eine Terminbörse oder dem direkten Handel an Auslandsbörsen und in Fremdwährungen. Außerdem bieten klassische Broker ihren Kunden meist leistungsstarke Trading-Werkzeuge an, z.B. eine professionelle Chartsoftware, Tools wie einen Marktscanner oder Options-Trader, die Umsetzung von automatisierten Handelsstrategien, Programmierschnittstellen oder kostenlose Börsennews.
Die Kosten
Die Gebührenstruktur von Neobrokern wird – neben dem einfachen Zugang zur Börse via Trading-App – meist als Hauptargument für einen Wechsel zu einem dieser Anbieter angeführt. Während die Depotführung in der Regel bei Neobrokern wie klassischen Online-Brokern kostenlos ist, werben Neobroker mit sehr günstigen pauschalen Ordergebühren beim Aktienhandel. Beim Handel an bestimmten außerbörslichen Handelsplätzen oder im Direkthandel verzichten manche Neobroker sogar ganz auf die Ordergebühr. Außerdem werben viele Anbieter mit einer großen Auswahl an kostenlosen ETF-Sparplänen.
Neobroker sind deshalb besonders für Vieltrader interessant, die mit kleinen Beträgen Standardwerte handeln. So kostet beispielsweise ein Aktienkauf im Volumen von 3.000 Euro bei einem klassischen Online-Broker zwischen 10 und 15 Euro, bei einem Neobroker werden dafür 0 bis 4 Euro fällig.
Anleger sollten dabei aber beachten, dass es diese niedrigen Gebühren nicht umsonst gibt. Viele Neobroker leiten Kundenaufträge direkt an spezielle Handelspartner weiter und erhalten dafür eine Gebühr (Rückvergütung), die beispielsweise aufgrund einer größeren Geld-Brief-Spannen als im regulären Börsenhandel zulasten der Rendite gehen kann. Zudem kritisieren Verbraucherschützer an dieser Stelle auch, dass dieses Verfahren Potenzial für Interessenskonflikte birgt.
Bei klassischen Online-Brokern werden Kundenorders direkt an den ausgewählten Börsenplatz geroutet und dort ausgeführt, so dass die Zusammenführung von Angebot und Nachfrage für einen fairen und transparenten Preis sorgt. Durch die direkte Börsenanbindung, einer viel breiteren Produktpalette und einem größeren Serviceangebot liegen die Transaktionskosten teils deutlich über denen von vergleichbaren Geschäften bei einem Neobroker.
Produkte und Märkte
Klassische Online-Broker bieten ihren Kunden den Handel an allen in- und zahlreichen ausländischen Börsenplätzen sowie viele Möglichkeiten des außerbörslichen Handels an. Dort können neben Aktien, Fonds und ETFs auch Derivate wie Optionen, Optionsscheine, CFDs oder sogar Futures gehandelt werden.
Weitaus eingeschränkter ist das Angebot der meisten Neobroker bei den verfügbaren Märkten und Produkten. Oft bieten sie nur den außerbörslichen Handel mit speziellen Handelspartnern an, d.h. die Kundenorders werden nicht direkt an einem Börsenplatz ausgeführt. Das schränkt zum einen die Auswahl an verfügbaren Wertpapieren erheblich ein, zum anderen ist der Spread zwischen Kauf- und Verkaufskurs meist größer als an der Börse (siehe dazu auch den vorherigen Punkt).
Depoteröffnung und Identifizierung
Die Depoteröffnung bei Neobrokern ist ausschließlich online möglich. Bei der gesetzlich vorgeschriebenen Identifizierung nutzen die meisten Anbieter ausschließlich die Video-Identifizierung (Video-Ident) zum Abgleich der eingegebenen Daten mit der Identität des Neukunden. In der Regel erfolgt das auch wieder direkt über eine App und es dauert meist nur wenige Minuten, bis das Depot eröffnet ist und die erste Einzahlung erfolgen kann.
Neben der Möglichkeit, online den Antrag auf Depoteröffnung auszufüllen, bieten viele klassische Online-Broker noch die Möglichkeit, den Eröffnungsantrag telefonisch auszufüllen oder per Post anzufordern. Die Identifikation ist ebenfalls im Wege der Video-Identifizierung möglich, in der Regel zusätzlich aber auch noch über das Postident-Verfahren in einer Postfiliale.
Beratung und Service
Die günstigen Konditionen der Neobroker haben ihren Preis, da dafür meist auf Serviceangebote und Beratung, wie sie bei klassischen Brokern zum Standard gehören, bewusst verzichtet wird. Oft beschränkt sich der Kundensupport auf FAQs zur Beantwortung der häufigsten Fragen, E-Mail-Support oder Chatbots auf der Website oder als App-Integration. Auf Beratungsleistungen verzichten Neobroker meist vollständig.
Anders sieht das bei den meisten klassischen Online-Brokern aus, wo ein professioneller Kunden- und Beratungsservice oft ein wichtiges Verkaufsargument gegenüber dem Kunden ist – telefonisch, schriftlich und manchmal sogar persönlich.
Zudem gehören bei vielen Online-Brokern noch weitere Finanzdienstleistungen zum Depot, wie beispielsweise ein Girokonto, ein Dispo-Kredit oder eine Kreditkarte.
Sicherheit der Einlagen
Beim Thema Sicherheit unterscheiden sich Neobroker und klassische Online-Broker kaum, denn alle Anbieter unterliegen hierzulande der gesetzlichen Einlagensicherung, damit sind Einlagen bis zu 100.000 Euro pro Kunde und Bank gesetzlich abgesichert. Außerdem werden alle Anbieter von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) überwacht und reguliert.
Überdies gehören die bei der Depotbank verwahrten Wertpapiere zum Sondervermögen, d.h. sind auch bei einer Insolvenz unverändert Eigentum des Anlegers.
Fazit Neobroker oder klassischer Online-Broker: Warum nicht einfach beides?
Wer sehr häufig und unkompliziert Aktien oder ETFs handeln oder mit einem ETF-Sparplan langfristig für das Alter vorsorgen will, für den ist ein Neobroker eine interessante Alternative. Vor allem die niedrigen Kosten, innovative Technologien oder der ortsunabhängige Handel mit dem Smartphone macht diese neue Generation von Online-Brokern sehr attraktiv für Anleger.
Anleger, die hingegen Wert auf eine große Auswahl an verfügbaren Märkten und Produkten, professionelle Handelstools oder ein zuverlässiges Service- und Beratungsangebot legen, sind bei einem klassischen Online-Broker besser aufgehoben. Oft haben die sogar noch zusätzliche Angebote wie eine Kreditkarte oder ein Girokonto.
Keine Abstriche müssen Anleger indes bei der Sicherheit der Einlagen machen, denn alle Anbieter unterliegen in Deutschland mindestens der gesetzlichen Einlagensicherung.
Da Depotführungsgebühren in der Regel bei keinem Anbieter anfallen, können Anleger alle Vorteile für sich nutzen, wenn sie einfach ein Depot bei einem klassischen Online-Broker und einem Neobroker eröffnen. Das Depot beim Online-Broker als Basis bietet die Vielfalt an Produkten und Märkten sowie eine Vielzahl an Trading-Tools, das Zweitdepot beim Neobroker ermöglicht es Tradern, günstig und ortsunabhängig Wertpapierkäufe und -verkäufe durchzuführen.
Sowohl beim klassischen Online-Broker als auch beim Neobroker gilt, dass vor der Depoteröffnung Anbieter intensiv verglichen werden sollten, damit später die gewünschten Produkte sowie die benötigten Trading-Tools auch zur Verfügung stehen.